Tierquälerei: interpersonelle Gewalt

Zwischenmenschliche Gewalt: ein breites Spektrum

Zwischenmenschliche Gewalt umfasst ein breites Spektrum von Handlungen, die gegen andere verübt werden, wie z. B. Übergriffe auf Fremde, häusliche Gewalt und Kindesmissbrauch. Die Frage, die in der Anthrozoologie (Lehre vom Menschen & Tier) wohl am meisten Diskussionen hervorruft, ist die des mutmaßlichen Zusammenhangs zwischen Tierquälerei und interpersoneller Gewalt. Schätzungen zufolge begehen extrem gewalttätige Personen erheblich häufiger Tierquälerei als die Allgemeinbevölkerung und eine Reihe von Untersuchungen zeigt einen Zusammenhang von Tiermisshandlungen und antisozialem Verhalten bei Kindern. 

Untersuchungen von Familien, in denen Kindesmissbrauch stattfand, ergaben, dass dort ebenfalls häufig Tiere misshandelt wurden. Ebenso wurde in Fällen von häuslicher Gewalt gegen Frauen gleichzeitig eine große Anzahl von Tiermisshandlungen festgestellt. J. A. Quinlisk zeigte, dass 67 % der Frauen, die vor häuslicher Gewalt Schutz suchten, miterlebten, wie ihre Partner ihre Tiere misshandelten – in 43 % der Fälle sogar in Anwesenheit der Kinder. Die Untersuchung der Tätermerkmale von Personen, die wegen (nicht-)familiärer Gewalt inhaftiert sind, kann zusätzliche Informationen über Geschlecht, Alter und Ethnie geben. In einer Stichprobe von 85.505 inhaftierten Straftätern, die interpersonelle Gewalt begingen, waren 90,4 % bzw. 93,5 % männlich. In der Stichprobe von 67.000 Insassen staatlicher Gefängnisse, die wegen familiärer Gewalt inhaftiert waren, waren mehr als die Hälfte zwischen 35 und 54 Jahre alt, und mehr als ein Drittel der Insassen, die wegen Gewalt gegen Fremde inhaftiert waren, gehörten derselben Altersgruppe an.

 

 

(alltägliche) Tierquälerei & Kriminalität 

Einige der ersten systematischen Untersuchungen zum Thema Tierquälerei und Kriminalität wurde von Alan Felthous (Psychiater) und Stephen Kellert (erforscht Interaktionen zwischen Mensch & Tier) durchgeführt. Sie interviewten aggressive & nicht aggressive Kriminelle sowie Nichtkriminelle. Bei den aggressiven Kriminellen war die Wahrscheinlichkeit, dass sie wiederholt Tiere quälten, viel höher als in den beiden anderen Gruppen. Sie verübten besonders oft extreme Gewaltarten – sie kochten lebendige Katzen in der Mikrowelle, ertränkten Hunde und folterten Frösche.

Unter dem Einfluss dieser Untersuchung befragte ein Autor seine Freunde, ob sie als Kinder Tiere gequält hätten. Die Antworten waren überraschend und erschreckend zugleich. Fred gestand, dass er und seine Freunde als Kinder Frösche mit Feuerwerkskörpern in die Luft gesprengt hatten. Die Mutter von Henry kaufte ihm einen kleinen braunen Welpen mit Schlappohren als er fünf war. Eines Tages spielten er und seine Freunde mit dem Hund, indem sie ihn über einen Lattenzaun hin und her warfen. Dabei prallte der Welpe immer wieder gegen den selbigen und starb ein paar Tage später. Henry sagte, dass er heulen könnte, wenn er nur daran denkt. Als er Linda fragte wurde sie ganz still und ernst – ja, aber darüber könne sie nicht sprechen. Ian hatte Ameisen mit einem Vergrößerungsglas verbrannt. Der Autor war überrascht, dass so viele Bekannte zugaben, als Kinder Tiere gequält zu haben. Trotzdem war keiner von ihnen ein böser Mensch geworden – keiner schlug seine Frau, war zum Schwerverbrecher oder Serienmörder geworden.

Charles Robert Darwin (Naturforscher) berichtet in seiner Autobiografie: »Ich schlug einen Welpen und ich glaube, nur aus Lust an meiner Macht. Die Übeltat lastete auf meinem Gewissen und noch heute würde ich den Tatort wiedererkennen«. Aber auch der Autor selbst bekennt sich schuldig. In seiner Kindheit und Jugend schossen er und seine Freunde mit Luftgewehren auf Landkrabben und Kröten. Eines Morgens sah er einen Singvogel auf einem Ast sitzen, als er das Luftgewehr gerade in der Hand hatte und dachte: »Warum soll ich nicht mal auf ihn schießen, ich werde ihn ja doch verfehlen und ein Luftgewehr richtet sowieso nicht viel Schaden an«. Ein Knall – der Vogel fiel geräuschlos vom Ast – tot. Bigotterweise bestand für ihn ein riesiger Unterschied zwischen einer »hässlichen« Landkrabbe und einem Vogel. 

Zusammenhang: Antisoziales Verhalten, interpersonelle Gewalt und Tierquälerei 

Forschungsarbeiten über den Zusammenhang oder die Korrelation zwischen Tierquälerei und interpersoneller Gewalt können Einblicke in gewalttätiges Verhalten geben. Gleichzeitig machen sie deutlich wie wichtig die Zusammenarbeit zwischen Strafverfolgung, Tierschutz, Juristen, Medizinern und psychiatrischen Fachkräften ist. Hierdurch wird die Identifizierung von Straftätern inkl. Tierquälern erhöht sowie die Verurteilungsraten und das Strafmaß verbessert. Fachliteraturen geben Aufschluss über die ätiologischen und entwicklungsbedingten Faktoren, die die Entwicklung von antisozialem Verhalten beeinflussen. Das Verständnis des Zusammenhangs zwischen Tierquälerei und interpersoneller Gewalt kann auch Aufschluss darüber geben, wie man Zeugen und Tätern am besten eine Therapie bieten und Lösungen für die sozialen Probleme finden kann. Eine Grenze der Forschung über Tierquälerei und deren Zusammenhang mit zwischenmenschlicher Gewalt war die Tatsache, dass viele der Studien nur eine kleine Stichprobengröße hatten. Nur wenige Forscher wie Vaughn et al. und Abel haben Studien mit umfangreichen Größen durchgeführt. Die Ergebnisse einer epidemiologischen Studie unter 43.000 Erwachsenen in den USA deuten darauf hin, dass alle im Rahmen der Studie untersuchten antisozialen Verhaltensweisen mit Tierquälerei in Zusammenhang standen.

Viele Forscher, die derzeit Studien bzgl. des Zusammenhangs durchführen, stimmen zu, dass es sich bei dieser Verbindung nicht um eine einfache kausale oder korrelierende Beziehung handelt. Einige Forscher auf diesem Gebiet haben Studien über »The-Link« (s. Tierquaelerei: Theorien und Hypothesen) kritisiert. Piper und Myers sind der Meinung, dass die Forschung über die Verbindung eine breitere Perspektive haben und den »sozioökonomischen Kontext« berücksichtigen müsse. Als Beispiel geben sie an, dass in der Studie von Hutton 91,3 % der Familien ein geringes Einkommen hatten. 1980 stellte bereits Felthous fest, dass Familiendynamiken, wie z. B. eine abwesende oder nicht verfügbare Vaterfigur, Auswirkungen auf die Tierquälerei von Kindern haben können. McPhedran merkte an: Der allgemeine Kontext, in dem Tierquälerei stattfindet, ist daher wahrscheinlich ein Faktor, der sowohl zur Entwicklung von Tierquälerei als auch zu anderen gewalttätigen Verhaltensweisen beiträgt. Sie stellt auch die »Violence Graduation Hypothesis« (s. Theorien und Hypothesen) infrage, dass Tierquälerei zu interpersoneller Gewalt führt und dass beide gemeinsame situationsbedingte Merkmale aufweisen, die eine Reihe von antisozialen Verhaltensweisen gemeinsam haben.

Tierquälerei ist ein viel komplexeres Phänomen, das eine Analyse von Daten aus einer Vielzahl von Bereichen erfordert.

Zusammenhang: Häusliche Gewalt, Kindesmisshandlung/-missbrauch & Tierquälerei 

Fachliteraturen unterstützen die Annahme, dass es eine signifikante Überschneidung zwischen interpersoneller Gewalt — insbesondere innerhalb der Familie — und Tierquälerei gibt. Sarah DeGue und David DiLillo merkten hierzu sinngemäß an: Die Identifizierung von Tierquälerei in der häuslichen Umgebung, verübt durch Eltern oder deren Kinder, kann als zuverlässiges Alarmzeichen für das Vorhandensein von Kindesmisshandlung oder schwerer häuslicher Gewalt dienen. Prof. Nik Taylor und Dr. Tania Signal erörterten, wie Tierquälerei innerhalb einer Familie als Indikator für das Risiko/den Grad der Gefährdung dienen kann. Drs. Catherine A. Simmons und Peter Lehmann kamen in ihren Interviews mit 1283 Frauen, die häusliche Gewalt überlebt haben, zu folgendem Ergebnis: Täter, die ihren Partnern gegenüber gewalttätig waren und auch das Haustier der Familie misshandelten, nutzten eine größere Bandbreite schwerer Gewalt inkl. emotionaler und sexueller Gewalt sowie Stalking. Eine von Hutton durchgeführte Studie im UK fand bereits 1983 heraus, dass Sozialdienste in 82 % der Familien mit einer Vorgeschichte von Tierquälerei ebenfalls eine Kindesgefährdung (Missbrauch oder Vernachlässigung) feststellten. 

Ascione et al. führten einige der ersten Studien über die Prävalenz von Tiermisshandlungen in Familien mit häuslicher Gewalt durch und entwarfen eine Umfrage für Mitarbeiter, die in Frauenhäusern arbeiten: 

  • Wie ist Ihre Wahrnehmung des Zusammenhangs zwischen häuslicher Gewalt und Tiermisshandlung?

  • Sprachen die Frauen & Kinder in diesen Unterkünften über die Misshandlung von Haustieren? 

  • Wurden Informationen über Tierquälerei kontinuierlich in Protokollen gesammelt und wenn ja, welche enthielten diese?

Das grundlegende Ziel der Studie war es, die Prävalenz von Tierquälerei in Familien mit häuslicher Gewalt zu prüfen. Ascione et al. stellten weitere Fragen und entwarfen hierfür eine Bogen und verschickten diesen mit einem Anschreiben — die Hauptfragen waren: 

  • Anzahl der in einem Zeitraum von 6 Monaten betreuten Klientinnen?

  • Haben die Klientinnen (Frauen & Kinder) Tiermisshandlungen erwähnt?

  • Hat das Personal einen Zusammenhang zwischen häuslicher Gewalt und Tiermisshandlung festgestellt und wenn ja, in welchem Ausmaß bestand dieser Zusammenhang?

Ergebnisse

96 % (48/50) der Unterkünfte, die geantwortet hatten, gaben Folgendes an:

  • 85,4 % der Frauen, die in die Unterkünfte kamen, berichteten von Tiermisshandlungen

  • 83,3 % der Mitarbeiter haben einen Zusammenhang zwischen häuslicher Gewalt und der Misshandlung von Tieren festgestellt. 

  • 27,1 % der Unterkünfte nehmen Fragen bzgl. Tiermisshandlungen bereits in ihr Aufnahmegespräch auf.

  • 63 % der Kinder sprechen von stattgefundenen Tiermisshandlungen

Die Analyse ergab, dass die betreuten Frauen & Kinder zwar oft über Tiermisshandlung sprachen, aber nur eine Minderheit gab an, dass sie in ihrem Aufnahmegespräch hiernach gefragt wurde. 1998 führte Ascione deshalb eine Studie durch, um folgende Informationen zu eruieren: 

  • Prävalenz des Besitzes von Haustieren in einer Stichprobe von Frauen (Frauenhaus in Nord-Utah)?

  • Prävalenz von drohendem und/oder tatsächlichem Schaden für Haustiere durch die Partner?

  • Beweise für Misshandlungen von Tieren durch die Kinder der Frauen?

Ascione erhielt Daten zu verschiedenen Arten von Tiermisshandlungen. Die Studie verwendete die Battered Partner Shelter Survey, die an Frauen mit einem Durchschnittsalter von 30 Jahren (20 bis 51 Jahre) durchgeführt wurde: 57 % waren verheiratet, 32 % ledig, 8 % geschieden und 3 % getrennt lebend. Im Durchschnitt hatten diese mehr als zwei Kinder (1-8). 38 der Frauen aus Nord-Utah erklärten sich zur Studien-Teilnahme und zur Befragung durch die Mitarbeiter bereit. 71 % berichteten, dass ihr Partner eines oder mehrere ihrer Haustiere bedroht und/oder tatsächlich verletzt oder getötet hatte. Aktive Angriffe machten 57 % der Berichte aus. 58 % aller Frauen hatten Kinder und 32 % der Frauen berichteten, dass eines oder mehrere ihrer Kinder Tiere verletzt oder getötet haben.

Häusliche Gewalt & Tiermissbrauch: Täter-Prädiktoren, psychische Gewalt, Vergewaltigung & Mord

Häusliche Gewalt bezieht sich auf physischen/psychischen Missbrauch eines Partners und ist nicht auf Verheiratete/zusammen Lebende beschränkt. Dementsprechend sind auch andere Menschen, die sich einen gemeinsamen Lebensraum teilen involviert (Geschwister, Kinder, Großeltern etc.). Die Taten umfassen psychische und körperliche Misshandlung inkl. Vergewaltigung und Mord. Ziel der Täter ist es den Lebenspartner einzuschüchtern, zu demütigen oder zu einer Handlung zu zwingen, die dieser sonst nicht vollziehen würde. Obwohl sich ein großer Teil der Fachliteraturen mit der Gewalt gegen Frauen & Kinder befasst, gibt es erschreckend viele Fälle in denen diese nicht nur Initiatoren, sondern aktive Gewalttäter sind — mehr dazu im folgenden Teil der Reihe (s. Kinder, Nachbarn & Serienmörder — Tierquälerei, ein gesellschaftliches Problem).

 

Tiermissbrauch ist nur einer von weiteren Prädiktoren für häusliche Gewalt:

  •  schlechte schulische Leistungen oder nicht erreichen eines Schulabschlusses

  • schlechte psychische Verfassung

  • Drogenmissbrauch inkl. Alkohol 

  • Vorgeschichte von Tiermisshandlung inkl. Missbrauch

Zahlreiche Studien haben einen Zusammenhang zwischen Tiermisshandlung und interpersoneller Gewalt hergestellt. Statistiken über häusliche Gewalt offenbaren: Pro Minute werden rund 20 Menschen körperlich missbraucht. 1/3 Frauen und 1/4 Männern erleiden im Laufe ihres Lebens körperliche Misshandlung durch ihren Intimpartner. Darüber hinaus haben Missbrauchsopfer von Intimpartnern eine hohe wirtschaftliche Auswirkung wie z. B. versäumte aber bezahlte Arbeitstage. Eine andere Studie zeigte, dass von 307 Männern, die wegen häuslicher Gewalt verhaftet wurden, mind. 41 % seit ihrem 18. Lebensjahr Tiermisshandlung begingen — die Prägung & Ausübung findet vermehrt bereits in der Kindheit statt. Je öfter ein Kind Tiermisshandlungen begangen hat oder selbst Misshandlungen ausgesetzt ist, desto wahrscheinlicher wird dieses ebenso zum Täter. 19 % der Opfer von häuslicher Gewalt benutzten später eine Waffe.

Aufgrund der hohen Prävalenz von häuslicher Gewalt ist es unerlässlich, Tiermisshandlungen zu überprüfen und den zuständigen Behörden zu melden. Bis zu 70 % der weiblichen Opfer interpersoneller Gewalt, die Haustiere besitzen, berichten, dass diese von ihrem Intimpartner misshandelt wurden.

Kriminalakten: Interpersonelle Gewalt (IPV) & Tierquälerei 

Eine Durchsicht offizieller Strafverfolgungsakten von 192 Fällen mit bekannter offizieller/inoffizieller IPV-Geschichte ergab, dass in 59,9 % der Fälle die Täter vor, während oder unmittelbar nach der Tierquälerei an IPV beteiligt waren. 72,2 % der affektiven und 49,1 % der räuberischen Tierquäler begingen IPV. Eine Überprüfung ergab, dass in 29,7 % der Fälle Beziehungstaten vorlagen — darunter häusliche Gewalt, Kindesmissbrauch, Misshandlung älterer Menschen und/oder Stalking sowie Terror.

Kategorie des Deliktes — Gesamt (affektiv/räuberisch)

  • Verstoß gegen Regeln/gerichtliche Auflagen 88 (33/55)

  • interpersonelle (zwischenmenschliche) Gewalt 66 (38/28)

  • Substanzmissbrauch 55 (22/33)

  • Eigentum- & Finanzdelikte 38 (17/21)

  • kleinere Verbrechen 27 (12/15)

  • Tierquälerei 20 (9/9)

  • Verkehrsdelikte 15 (7/8)

  • Waffendelikte 11 (6/5)

  • andere Straftaten gegen Kinder 9 (3/6)

  • Sexualdelikte 7 (4/3)

  • Sexualverbrechen an Kindern 1 (1/0)

  • Brandstiftung 1 (0/1)

Zusammenhang: Aggression, Tierquälerei & interpersonelle Gewalt — Häufigkeit & Komorbidität 

Aggressives Verhalten weist eine bestimmte zeitliche Beständigkeit auf und eine erfolgreiche Therapie wird umso unwahrscheinlicher, je früher und ausgeprägter dieses Verhalten in Erscheinung getreten ist.

Tierquälerei und familiäre Gewalt 

Erwachsene und kindliche Täter: Gründe & Theorien

Bei Heranwachsenden ohne psychopathische Anlagen, treten Tierquälerei und Verhaltensstörungen deutlich öfter auf, wenn Missbrauch oder Familienkonflikte vorliegen. Entsprechende Vorfälle beinhalten körperliche Züchtigung und sexuellen Missbrauch, aber auch das Erleben von Gewalt gegen andere Familienmitglieder. In solchen Familien kommt es daher gehäuft zu Tierquälerei. Gewalttätige Elternteile richten ihre Angriffslust gegen widerstandlose Mitglieder — Kinder und/oder Haustiere. Kindliche Tierquälerei erfolgt, um erwachsenen Vorbildern nachzueifern oder um die aufgestauten Emotionen abzureagieren (s. Theorien & Hypothesen). Erfährt der Nachwuchs Gewalt im Elternhaus und Alltagssituationen, fängt er an dieses Verhalten zu imitieren. Das Kind wendet sich seinerseits gegen ein ihm körperlich unterlegenen Part — der angestaute Zorn und die Unzufriedenheit über die eigene Misshandlung und Demütigung sucht sich ein Ventil. Der Gewaltanwendung gegen Menschen und Tiere ist gemeinsam, dass Lebewesen betroffen sind, die in der Lage sind Schmerz und Stress zu empfinden, auszudrücken und an den Folgen versterben können.

Eine andere interessante Theorie besagt, dass das schikanierte Kind in dem Tier seine eigene Wehrlosigkeit erkennt und sich durch die Misshandlung desgleichen mit der Macht seiner Eltern identifiziert. Die erfahrene Unberechenbarkeit und Instabilität zwischen Liebe und Misshandlung wird auf das Haustier projiziert. Genau dadurch erklärt sich auch die widersprüchliche Tatsache, das viele Tierquäler sich für tierlieb halten. Die Gewalt- und Missbrauchsstrukturen, die sich durch Tiermisshandlung offenbaren, können vielschichtig sein und werden in (körperliche/sexuelle) Kindesmisshandlung sowie Gewalt gegen den Partner eingeteilt.

Tierquälerei und Kindesmisshandlung 

Wie ausgeprägt in der Kindheit erfahrene physische & psychische Gewalt die Einstellung gegenüber jener modifizieren, wird in einer Studie (Flynn) unter 267 Studenten (68,4 % weiblich) deutlich. 34,5 % der  Männer und 9,3 % der Frauen bestätigten, Tierquälerei in der Kindheit miterlebt zu haben. In diesem Zusammenhang berichteten die Frauen auch häufiger von zwischenmenschlicher Gewalt durch ihren Partner. De Viney, Dickert und Lockwood untersuchten die Dokumente von 53 Familien mit Haustieren in denen es zu Kindesmisshandlung oder -vernachlässigung gekommen ist. In 60 % der Fälle konnte Tierquälerei durch einen oder beide Elternteile bzw. die Kinder festgestellt werden. Ebenso kam es in Familien mit alleiniger körperlicher Gewalt viel häufiger zu Tiermisshandlungen (88 %), als bei Familien mit rein sexuellem Missbrauch (34 %). Aus diesen Gründen sollte bei körperlicher Gewalt inkl. Tierquälerei der Verdacht auf Kindesmisshandlung präsent sein.

Eine Kontrollgruppe bestehend aus 880 Mädchen und Jungen (2 bis 12 Jahre) wurde mit einer Gruppe (1 bis 12 Jahre), bei denen in den letzten 12 Monaten sexueller Missbrauch vorlag verglichen (Friedrich et. al). Entsprechende Informationen wurden aus einem Elternfragebogen entnommen. Wenig überraschend neigten die missbrauchten Kinder signifikant öfter zu Tierquälerei. Salter et. al führten eine retrospektive Studie an 224 Männern, die in ihrer Kindheit selbst Opfer von Missbrauch wurden, anhand von Selbstauskünften durch. 12 % (26) unter ihnen hatten selbst im Erwachsenenalter Kinder missbraucht — 80 % (21) waren in ihrer Kindheit Zeugen von Tierquälerei.

Eine Form der Gewalt gegen Tiere durch sexuell missbrauchte Kinder fand bisher keine Erwähnung — der sexuelle Missbrauch dergleichen, auch als Zoophilie (fälschlicherweise teilw. als Sodomie bezeichnet) und »bestiality« bekannt. Wherry et. al erhoben anhand des »Child Sexual Behavior Inventory« von Friedrich, ausgefüllt durch die Betreuer, Daten über 24 psychiatrische Patienten (6 bis 12 Jahre). Bei acht Kindern lag sexueller Missbrauch vor und das Item »berührt tierische Sexualorgane« wurde von 50 % mit Ja beantwortet — bei Kindern ohne Missbrauch in keinem Fall.

Ebenfalls mithilfe von CSBI- und CBCL-Fragebögen untersuchten Ascione, Friedrich et. al die Berichte von Müttern — deren 1433 Kinder im Alter von sechs bis 12 Jahren wurden in drei Gruppen eingestuft:

 

  • Kontrollgruppe ohne sexuellen Missbrauch (37,68 %/540) davon 3,1 % Tierquäler

  • Gruppe mit sexuellem Missbrauch (33,56 %/481) davon 17,9 % Tierquäler

  • psychiatrische Vergleichsgruppe ohne sexuellen Missbrauch (28,75 %/412) davon 15,6 % Tierquäler

Diese Zahlen bestätigen die Hypothese, dass psychische Störungen, die durch sexuellen Missbrauch entstehen können, sich auch in Tierquälerei manifestieren. Aus den vorangegangenen Schilderungen kann man allerdings keinen Kausalzusammenhang (s. u.) ableiten. Erlebte Traumatisierung im Kindesalter kann sich in Form vieler psychiatrischer Störungen äußern (z. B. Essstörungen) oder, in seltenen Fällen äußerlich symptomlos bleiben. 

Dreieck der Gewalt — Tierquälerei, Intimpartner & Kinder

Zwar richtet sich die innerfamiliäre Gewalt oft gegen den Partner, insbesondere Frauen, dennoch sind häufig Kinder und Haustiere involviert. Dass es sich nicht um seltene Ausnahmen handelt, zeigen immer wieder Studien. Beispielsweise befragten Ascione et. al 100 Frauen, die Schutz in einem Frauenhaus gesucht hatten sowie 117 Personen als Kontrollgruppe (alle besaßen Haustiere). 54 % der geflüchteten Frauen gaben an, dass ihr Partner Haustiere misshandelt oder umgebracht hatte und das bei sogar 62 % der Fälle die eigenen Kinder anwesend waren. Hingegen berichteten nur 5 % der Kontrollgruppe von ähnlichen Vorfällen. In diesem Zusammenhang führte Flynn eine Untersuchung durch. Die Befragung von Bewohnerinnen eines Frauenhauses ergab, dass deren gewalttätige Partner die Haustiere benutzten, um Kontrolle über die Frauen auszuüben. Einige Frauen zögerten die Flucht ins Frauenhaus hinaus, weil sie Angst um ihre Tiere hatten. 

Bei einer ähnlichen Untersuchung durch Flynn wurden 43 Frauen mit Haustieren in einem Frauenhaus befragt. 46,5 % berichteten von Schikane oder Misshandlung ihrer Tiere — ihre Kinder waren angeblich zu 7 % beteiligt. 33,3 % der Frauen, deren Tiere gequält worden waren, berichteten auch vom Missbrauch ihrer Kinder. Bei Familien mit Tieren ohne tierquälerischen Hintergrund reduzierte sich die Zahl der drangsalierten Kinder auf 15,8 %. Diese Studienergebnisse bestätigen das Dreieck der Gewalt — Tierquälerei, Gewalt gegen Intimpartner und Kindesmissbrauch/-misshandlung. Dass die Angaben realistisch sind, bestätigt eine Befragung von Ascione et. al mittels 42 inhaftierten Männern die häusliche Gewalt verübten. 55,3 % der Befragten mit Haustieren, gaben zu, diesen Schmerzen zugefügt oder getötet zu haben. Weitere Informationen zu den vielfältigen Gewaltformen folgen in einem späteren Text. 

 

Vom kindlichen Tierquäler zum erwachsenen Gewalttäter? 

Es gibt viele Bilder, die Mensch-Tier Beziehungen abbilden. Ein großes Ölgemälde von Annibale Carracci aus dem 16. Jahrhundert trägt den Titel »Zwei Kinder quälen eine Katze«. Es zeigt ein Mädchen und einen Jungen, die ganz unschuldig dreinblicken sowie eine Katze. Der Junge hält die Katze mit der linken Hand fest und hat einen Flusskrebs in der Rechten, den er dazu gebracht hat, mit einer seiner Scheren in ein Ohr der Katze zu kneifen. Dass die Kinder hierbei ein engelhaftes Lächeln auf den Lippen haben, weil sie von ihrem »Spiel« offenbar begeistert sind, verleiht dem Gemälde eine besonders schaurige Wirkung. Wie soll man diese mutwillige Gewalt deuten? Ist sie ein kindlicher Streich oder deutet sie bereits auf eine psychische Störung hin, die eines Tages zu sehr viel schlimmeren Gewalttaten führen wird?

Dass Menschen anderen Lebewesen (lustvoll/gleichgültig) schwere Verletzungen zufügen, offenbart Fragen bzgl. der menschlichen Psychologie. Ist Tierquälerei anerzogen oder angeboren? Manche Wissenschaftler glauben, dass die Ursachen für die Grausamkeiten in der menschlichen Entwicklungsgeschichte begründet liegen – insbesondere darin, dass unsere Vorfahren vermutlich fleischfressende Affen waren, die ihre Freude daran hatten, ihre Beute in Stücke zu reißen. Andere dagegen vertreten die Ansicht, dass Kinder von Natur aus gutartig seien und gefühlloses Verhalten gegenüber Tieren durch eine Kultur verursacht werde, die durch Jagd und Fleischgenuss indoktriniert wird.

Grausamkeit ist auch ein unerschöpfliches Thema in Bezug auf moralische Widersprüche. Worin liegt der moralische Unterschied zwischen der Freude, die ein Jäger empfindet, wenn er ein Reh erschießt, und dem, die ein Kind hat, wenn es einem Hund eine Blechdose an den Schwanz bindet – gibt es überhaupt einen? Die Anthropologin Margaret Mead schrieb, es sei »eines der gefährlichsten Dinge, die einem Kind passieren könne, dass es ein Tier tötet oder quält und ungestraft damit davonkommt«. Sie griff damit ein Thema auf, das schon seit Jahrhunderten diskutiert wird. John Locke (engl. Arzt & Philosoph) und Immanuel Cant (Philosoph) sahen einen Zusammenhang zwischen der Grausamkeit gegen Tiere und interpersoneller Gewalt. Für Cant bestand sogar der einzige Grund, warum wir Tiere gut behandeln sollten, darin, dass Grausamkeit gegen Tiere zu Grausamkeit gegen Menschen führt. Einige Anthrozoologen sind davon überzeugt, dass Tierquälerei im Kindesalter oft der erste Schritt auf einem Weg ist, der zu kriminellem Verhalten als Erwachsener führt – andere sind sich da nicht so sicher.

Vorsicht mit Kausalzusammenhängen!

Einge Gründe sprechen dafür, dass man mit dem Kausalzusammenhang zwischen kindlicher Grausamkeit und der Gewalttätigkeit im Erwachsenenalter vorsichtig sein sollte. Im Grundkurs Philosophie Lektion 1 (Logik) lernt man, dass alle As sind Bs nicht bedeutet, dass alle Bs auch As sind. So bedeutet die Tatsache, dass die meisten Heroinsüchtigen Marihuana rauchten, bevor sie Junkies wurden, nicht, dass jeder, der Marihuana raucht, heroinsüchtig wird. Ähnlich gilt: Selbst wenn alle Serienmörder und Schulattentäter als Kinder Tiere gequält hätten, würde daraus nicht folgen, dass Kinder, die Motten die Flügel ausreißen, später zu Mördern werden. Wichtiger noch, das verfügbare Zahlenmaterial widerspricht sogar der Hypothese, dass die meisten jugendlichen Tierquäler als Erwachsene gewalttätig werden.

Emily Patterson-Kane (Verhaltensforscherin & Wissenschaftlerin) und Heather Piper (Prof. für Bildungs- & Sozialforschung) analysierten die Ergebnisse von 24 Forschungsberichten bzgl. kindlicher Tierquälerei bei extrem gewalttätigen Männern (Mörder, Schulattentäter, Sexualstraftäter) mit denen von Männern ohne kriminelle Vergangenheit (Studenten, normale Jugendliche & Erwachsene).

Erstaunliches Ergebnis: 35 % der Gewalttäter verübten in ihrer Kindheit Tierquälerei – bei der normalen Kontrollgruppe waren es sogar 37 %.

Suzanne Goodney Lea (Soziologin) kam im Rahmen ihrer Forschungen zu ähnlichen Resultaten. Grundlage bildeten hierzu 570 Heranwachsende, von denen 15 % Tierquälerei begangen hatten.

Ergebnis: Kinder, die in Schlägereien verwickelt waren, gewohnheitsmäßig logen, Waffen benutzten oder Feuer legten, wurden tendenziell auch als Erwachsene gewalttätig. Tierquälerei war allerdings kein Indikator für späteres aggressives Verhalten.

Arnold Arluke (emeritierter Prof. für Soziologie & Anthropologie) schafft es, dass Menschen ihm Dinge erzählen, die sie sonst für sich behalten. Er nutzte diese Fähigkeit, um die Psyche seiner Studenten zu erforschen, die Tiere gequält hatten – und es waren nicht wenige. Sie hatten Fische mit Bleichmittel vergiftet, Fliegen die Beine ausgerissen, Heuschrecken mit Feuerzeugbenzin verbrannt und mit lebenden Fröschen Frisbee gespielt. Folgende Äußerung einer Frau ist typisch: »Wir hatten einfach nichts zu tun und langweilten uns, also kamen wir irgendwie auf die Idee: »Okay, dann gehn wir halt los und quälen ein paar Katzen!« Arlukes Studenten waren keine Ausnahme — die Tierquäler in dieser Gruppe waren zu 60 % männlich und 40 % weiblich.

Am Ende verbleibt eine entscheidende Frage 

Nun stellt sich eine entscheidende Frage. Sie lautet nicht, warum Psychopathen grausam sind – denn die Antwort ist offensichtlich: Sie sind geistig krank, moralisch blind oder böse. Die Frage geht weit über das Problem unserer Mensch-Tierbeziehung hinaus. Warum tun grundlegend gute Menschen grundlegend schlechte Dinge? Für einige Forscher und Tierschutzorganisationen ist der Zusammenhang zwischen Tierquälerei & Gewalt gegen Menschen zum Glaubenssatz geworden, den sie mit missionarischem Eifer verteidigen (s . Theorien & Hypothesen). Andere Forscher stellen hingegen die Existenz eines einfachen Zusammenhangs infrage und fürchten, dass sowie die Befürworter als auch die Medien in der Öffentlichkeit eine irrationale Angst schüren. Die Skeptiker vertreten nicht die Ansicht, dass Tierquälerei ignoriert werden sollte — sie möchten lediglich, dass diese als eigenständiges Problem ernst genommen wird, und nicht nur, weil kindliche Tierquäler evtl. später zu Psychopathen werden.

Anthrozoologen sind sich nicht einig, wie stark der Zusammenhang zwischen Tierquälerei und interpersoneller Gewalt ist – ebenso wie auch über andere Aspekte menschlichen Verhaltens. Seit Jahren streiten Psychologen darüber, ob Gewalt im Fernsehen bei Kindern Aggressionen verursacht, ob Pornografie zu Sexualverbrechen anstachelt und ob Tagesbetreuung gut für Kinder ist. Wie bei diesen Fragen ist auch die Debatte über Ursachen und Wirkungen der Tierquälerei noch lange nicht zu Ende – dafür ist das Problem zu elementar.