Epilepsie bei Katzen: Organoazidopathie (Azidose)

Definition

Organischen Azidurien (Acidum=Säure) stellen Erkrankungen dar, denen meistens ein Enzymmangel im zellulären Stoffwechsel oder die Fehlfunktion eines Cofaktors zugrunde liegt. Cofaktoren sind niedermolekulare Substanzen, die zum Ablauf einer biochemischen Reaktion beitragen (z. B. Cobalamin besser bekannt als Vitamin B12). Das führt aufgrund eines gestörten Harnstoffzyklus zu einem fehlerhaften Abbau von Amino- und Fettsäuren und zur Anhäufung derselben. Im Zusammenhang mit Katzen wird hauptsächlich von Methylmalonazidurien und D-Laktatazidosen berichtet. 

Auslöser 

  • harnpflichtige Substanzen im Blut > Urämie

  • Ketonkörper im Blut > (diabetische) Ketoazidose

  • Abfall des ph-Wertes im Blut durch Milchsäure > Laktatazidose

  • Kohlenhydratmangel > Hunger Ketoazidose

  • terminale Niereninsuffizienz

  • primäre Nierennebenrindeninsuffizienz (Morbus Addison)

  • lang anhaltender Durchfall

  • Fisteln in Magen/Darm

  • erhöhte Ausschüttung des Steroidhormons Aldosteron > Hyperaldosteronismus

  • tubuläre Azidose

  • angeborener Herzfehler

  • angeborene Stoffwechselstörung

  • Bauchspeicheldrüse stellt zu wenig Verdauungsenzyme her > exokrine Pankreasinsuffizienz

  • Aminoglykoside (Antibiotika)

  • Theophylline (Antihistaminika)

  • Paraldehyd (Sedativa)

  • Phenformin (Antidiabetikum)

  • Paracetamol/Acetaminophen (Analgetika/Antipyretikum)

  • Isoniazid (Antibiotikum)

  • Carboanhydrasehemmer/Topiramat

  • Salicylate/(Acetyl)salicylsäure

  • Eisenpräparate (Überdosierung bei Eisenmangel)

  • Sauerstoffabsorber (in Futtermittelverpackungen)

  • Ethylenglykol (Frostschutzmittel)

  • Zyanid (Salze der Blausäure)

  • Toluol (Erd-, Leichtölprodukte, z. B. Benzin)

  • Kohlenstoffmonoxid

  • Propylenglykol (u. a. als Weichmacher in Hygieneartikeln)

Entstehung 

Ein Großteil dieser Erkrankungen lässt sich auf vererbte (autosomal-rezessive) Enzymdefekte der mitochondrialen Atmungskette zurückführen - vereinzelt sind auch Enzyme in den Zellflüssigkeiten betroffen. Mit der mitochondrialen Atmungskette, auch als Elektronentransportkette bekannt, wird er Vorgang bezeichnet, bei dem durch eine Knallgasreaktion Sauerstoff zu Wasser reduziert wird. Dieser in mehreren Stufen ablaufende Vorgang gibt Energie frei die genutzt oder gespeichert wird.

In vielen Punkten überschneiden sich organische Azidurien mit mitochondrialen Enzephalopathien (krankhafte Gehirnveränderungen). Unterschiede gibt es hinsichtlich identifizierbarer angehäufter organischer Säuren im Urin und anderen Körperflüssigkeiten. Bei einigen der früher als unbekannt spongiformen / vakuolären eingestuften Gehirnveränderungen kann es sich auch um organische Azidosen handeln. Wie bereits eingangs erwähnt, ist die Ursache einer organischen Azidose oft das Fehlen eines wichtigen Enzyms oder die Fehlfunktion eines Enzyms aufgrund einer Cofaktorinsuffizienz. Gelegentlich handelt es sich um eine erworbene Störung, entweder aufgrund einer mangelhaften Aufnahme von Substraten aus Speisebrei oder eines Giftes. 

Aminosäure Carnitin: Diese hat zwei wichtige Rollen im Zellstoffwechsel. Carnitin transportiert Fettsäuren über die innere mitochondriale Membran zur Oxidation (Elektronenübergangsreaktion) und zellulären Energieproduktion. Carnitin dient auch als Puffer für angehäufte organische Säuren. Da die Ansammlung von organischen Säuren die Funktion der Mitochondrien beeinträchtigt, bindet sich Carnitin an die Fettsäuren, und diese verbundenen Substanzen verlassen mit dem Urin den Körper. Bei organischen Azidurien ist es üblich, dass sich ein sekundärer Carnitinmangel aufgrund eines Verlustes von Carnitin durch Urinausscheidung entwickelt.

Klinische Anzeichen

Anzeichen einer Gehirnveränderung können durch einen abnormalen Zellstoffwechsel, toxische Wirkungen der angesammelten organischen Säure oder durch beides hervorgerufen werden. Zusätzlich zu diesen Faktoren kann ein veränderter oxidativer zellulärer Energiestoffwechsel (Atmung) zu einer Verschiebung hin zu anaeroben Energiewegen (Gärung) führen. Dadurch sind weitere metabolische Störungen, wie Unterzuckerung (Hypoglykämie), Abfall des ph-Wertes im Blut (Laktatazidose), schwere Stoffwechselentgleisung/Übersäuerung/Insulinmangel (Ketoazidose) oder krankhaft erhöhte Konzentration des Serumammoniaks (Hyperammonämie) möglich. Alle diese Faktoren können zur Entstehung von Anzeichen einer Gehirnentzündung beitragen.

Methylmalonazidurie (autosomal-rezessiv vererbt): Anhäufung und vermehrte Ausscheidung von Methylmalonsäure über die Nieren und D-Laktatazidose (Abfall des ph-Wertes durch die Ansammlung von Milchsäure & Laktat). Ein Mangel an Vitamin B12 wurde bei jungen Katzen mit Methylmalonazidurie und Gehirnentzündungen in Verbindung gebracht. Es wurde die Hypothese aufgestellt, dass der Cobalaminmangel auf einen Mangel an intrinsischem Faktor zurückzuführen ist. Mit intrinsischem Faktor ist der Vorgang gemeint, bei dem das in den Drüsen der Magenschleimhaut gebildete Glykoprotein mit dem aus der Nahrung aufgenommenen Vitamin B12 einen Verbund bildet und dadurch seine Aufnahme ermöglicht. Neurologische und MRT-Befunde stimmen mit einer nichtentzündlichen Erkrankung der grauen Hirnsubstanz überein, die nach gezielter/ergänzender Cobalamingabe bei einer Katze mit Cobalaminmangel unbekannter Ursache behoben wurde.

Eine erworbene D-Laktatazidose infolge einer Magen-Darm-Erkrankung wurde bei einer 2 Jahre alten Katze vermutet. Es wurde Gewichtsverlust trotz krankhaft gesteigertem Appetit (1 Jahr) inkl. einer neuerlichen Episode (4 Monate) mit Schwäche, Bewegungsstörungen, tiefer Schläfrigkeit und verminderter Aufmerksamkeit & Bewusstsein festgestellt. Eine bakterielle Überbesiedlung wurde als Ursache für die Überproduktion von D-Isoformen der Milchsäure angesehen (Isoforme=Proteine mit dergleichen Funktion, jedoch verschiedenem Aufbau). Eine 4-jährige Katze mit Verdacht auf Cobalaminmalabsorption hatte mehrere Episoden einer Fehlfunktion des Vorderhirns (z. B. Teilnahmslosigkeit, Blindheit) und einen Gleichgewichtsverlust, was eine multifokale/diffuse Gehirnerkrankungen nahelegte.

Berichtete Anzeichen einer Nervenfehlfunktion im Zusammenhang mit organischen Azidurien sind in ihrer Schwere und Fortschreiten, sogar innerhalb einer spezifischen Störung, unterschiedlich. Im Allgemeinen neigen diese Erkrankungen dazu, Anzeichen von multifokalen/diffusen ZNS-Störungen zu verursachen, und können episodischer Natur sein.

Diagnose

Die Diagnose von organischen Azidurien erfolgt durch den Nachweis ungewöhnlich hoher Konzentrationen spezieller organischer Säuren in Urin, Serum und / oder Liquor mittels Gaschromatografie-Massenspektroskopie. Es gibt auch mehrere Berichte über MRT-Schäden bei Katzen mit organischen Azidurien. Ähnlich wie bei den mitochondrialen Enzephalopathien liegen diese beidseitig-symmetrisch, je nach Störung, innerhalb von der weißen oder grauen Substanz, die auf T2-W-Bildern heller (hyperintens) sind. Diese Läsionen tendieren dazu, auf T1-W-Bildern leicht dunkler (hypointens) zu sein und sind nicht Kontrast verstärkend. Liquorzytologie und Proteinkonzentrationen erscheinen normal.

Behandlung 

Behandelt werden organische Azidurien in erster Linie durch eine Nahrungsanpassung und die Zugabe von Vitaminergänzung, um die abnormen Stoffwechselwege auszugleichen. Darüber hinaus ist eine Antikonvulsivumtherapie mittels Antiepileptika erforderlich, wenn Krampfanfälle ein Teil des klinischen Bildes sind. Obwohl die diätetische Veränderung auf die spezifischen Bedürfnisse einer Katze zugeschnitten sein sollte, gibt es allgemeinen Empfehlungen. Dazu gehören typischerweise eine Kohlenhydratreiche, Fettarme (wobei der Großteil der Fette mittelkettige Triglyceride sind), proteinarme Diät und eine Ergänzung mit L-Carnitin und mehrere B-Vitamine (z. B. Cobalamin, Thiamin, Riboflavin).

Prognose

Die Prognose für organische Azidurien ist mit => 50 % vorsichtig positiv. Die neurologische Fehlfunktion löste sich z. B. bei einer Katze mit D-Laktatazidose nach einer Pankreasenzymersatztherapie.